Reischdorf,

das große Dorf im Paß



Betrachten wir die Tabelle (1), überrascht uns die Größe Reischdorfs! Nehmen wir jeden zinszahlenden Haushalt nur zu 6 Köpfen an, so hatte damals Reischdorf 6 x 72 = 432 Einwohner, eine fast “unfaßbare Größe für diese Zeit!

72 Anwesen mit Feldern, Wiesen und vielleicht auch etwas Wald bei jedem Haus?

Reischdorf ist ja der Anlage nach ein Waldhufendorf.


Wovon lebte es? Von Viehzucht?

Sicher zum Teil, Wiesenland und Waldweide waren wohl genugsam vorhanden, Neben Rindvieh gab es auch wohl Schweine, Ziegen, Schafe kaum, die brauchen weiten Auslauf. Pferde?

Reischdorf ist das Dorf in der Paßstraße!


Damit aber tritt die Frage vor uns: was bedeutet sein Name?

Namen sind ja durchhaltendste Zeugen aus dem Anfang eines Ortes. Wir haben es jedoch schwer, gerade für unsere beiden großen Dörfer Reischdorf und Dörnsdorf, obwohl sie sehr nahe an Preßnitz liegen, sind urkundliche und aktliche Nachrichten etwas Seltenes. Ihre Namen werden sehr spät kund, Altschreibungen aber sind unerläßlich für richtige Namendeutung.


Von wo aus wurden sie gegründet?

Unsere beiden Dörfer sind anscheinend älter als ihre späteren beiden Herrenburgen Birsenstein und Hassenstein. Wurden also die beiden Dörfer auch von Kaaden aus kolonisiert wie 1261 unten Brunnersdorf, Niklasdorf, Wernsdorf usw.?

Leider nicht die geringsten Nachrichten sind irgendwie darüber vorhanden. Sicher ist nur, daß sie Bauernansiedlungen sind nach Dorf- und Flurform und nach ihrem Namen. Damit errechnet sich als ihre Entstehungszeit die Zeit zwischen 1150, dem Beginn der deutschen Ostkolonisation im Erzgebirge und etwa 1300, schätzungsweise, kaum aber viel später.


Urkundlich erscheint Reischdorf erstmals am 4.12.1367, als der künftige König Böhmens, Wenzl IV., damals noch Thronfolger, an Stelle seines Vater Karl IV., auf die Bitte Bernhards v. Schönburg, diesem die Burg und die Herrschaft Hassenstein verleiht.

Die Urkunde dieses Tages nennt das Dorf “Reuzendorff”., d.h. Es steht eigentlich – hier nicht wiedergebbar – Renzendorf. Die kleine zierliche Urkunde in deutsch-kurrenter Schrift hat nähmlich keine U-Häkchen, so daß man sowohl (wenigstens zunächst) Reuzendorf wie Renzendorf lesen kann. Da aber in späteren Schreibungen dieses Namens an Stelle des eu nie mehr ein en vorkommt, die die Form “Reuzendorff “ als die richtige anzunehmen. Die Mundart sagt Raischdorf.


Es mögen nun gleich die weiteren Altschreibungen hier folgen:

1449 Rawsendorf

1543 Raysdorf

1555 Reuschdorf

Die Schreibung, die wir von Schmiedeberg her kennen. Die Schreibungen betrachtend, finden wir wieder die Wirksamkeit unseres bekannten Sprechgesetzes und sehen unseren Ortsnamen von seiner Dreisilbigkeit auf die übliche Zweisilbigkeit kürzer zu werden.


Was ergeben nun diese Altschreibungen als Sinn des Dornamens?

Behauptet wird, daß im Ortsnamen von Reischdorf ein tüchtiges Stück uralten Bauerntums, und zwar in der Form reicher Pferdehaltung schon seit Namensgebung des Ortes, aufgekommen infolge weiten und lebhaten Paßverkehres. Denn “Reuß”, Mehrzahl die Reußen, erscheint als der am früphesten aus Südeuropa hergekommene Name für ein männliches, verschnittenes (kastriertes) Pferd. Diese Tiere sind bekanntlich ruhig, kräftig und ausdauernd, ausgezeichnet und leistungsfähig für Wagen- und Karrenzug, vielleich auch geschätzt als Saumtiere. Sie waren das wohl im selben Sinne wie die Walachen aus der Walachei in Rumänien, die aus ihrer Nähe, nur später, zu uns kamen. Es mag freilich sein, daß sich volkstümlich mit dem Worte “Reuß” das Wort “Roß” vermischte, hieß doch z.B. In Hessen ein “Roßbach” in älterer Zeit auch “Roisbach” (man vgl. Die “Pferdeheide”, den Flurnamen am Haßberg!)


Das Wort “Reuß” ist eigentlich “der Ruthene”, d.i. Kleinrusse, ein Volk, das nicht nur in Südwest-Rußland, sondern auch in Ungarn, Siebenbürgen und Rumänien lebt. Der Name Reuß an sich war bereits seit 1271 im Erzgebirge nicht völlig unbekannt, nannten sich doch die Vögte von Plauen im Vogtland und Sachsen seit dem genannten 1271 nach ihrem Stammhern Heinrich I. dem Ruthenen, Ruzzen oder Reußen, als daraus entsprossenes Fürstengeschlecht Haus Reuß ältere und Reuß jüngereLinie. Heinrich I., Ruß, trug diesen Beinamen ebenfalls im Zusammenhang mit Erlebnissen in Kleinrußland und Polen.


Reischdorf erklärt sich also als ein Dorf, das sich schon zur Zeit seiner Namensgebung als Dorf mit vielen Reußen, bzw. mit vielen Pferden.


Der Reischdorfer Fuhrmann war durch Jahrhunderte zu finden in Ungarn, Mähren, Inneren Böhmens und war hir zu finden im Süden bis Triest, Graz und Wien, nach Norden zu in ganz Sachsen, über Leipzig bis Hamburg. Monate, ja Jahre blieb es aus und frachtete im genannten Raum mit Gütern nach Hause, wie auch mit in der Fremde aufgenommenem Gute, das er weiterführte, ein gewisses Gegenstück zu den Allgäuern und denen aus Frammesbach bei Lohr am Main. Getreide lud er gerne hinüber nach Sachsen. Noch 1883 – also nachdem ihm mit dem 2.8.1872 die Eisenbahn benann, ihm sein Lebensverdienst zu nehmen – sagte ein Erzgebirgsfreund: “Reischdorf hat nur Getreidehändehändler, aber keine Bettler im Orte.” der Reischdorfer Fuhrmann, ein “Herr der Landstraße” und in den großen Stadtgasthöfen. Er “ließ sich nicht lumpen” und zahlte gut. (Tracht und Typen in “die Österr. Ung. Mon. in Wort u. Bild Böhmen II)



reischdorf war ein jahrmarktberechtigtes Dorf mit 2 Jahrmärkten jährlich. Den ersten hielt es am 10. September 1901.


Kirchlich gehörte Reischdorf durch Jahrhunderte zu Pressnitz, ab

1784 wurde es Lokalie dazu;

1892 wurde ein eigenes Pfarramt errichtet.

1939 erhielt Reischdorf eine neue Martinskirche, ostseitig etwa inmitten des Dorfes.

1945 wurde die alte Martinskirche aus dem 16. Jh. Niedergerissen.


  1. Die Größe der Kammeralsherrschaft Pressnitz im Jahre 1553

Ein glücklicher Zufall erhielt unter den Akten ein Verzeichnis derer Bauersleute oder Untertanen auf den Dörfern in das Amt Presßnitz gehörig, stammend aus dem Jahre 1553, also nur 8 Jahre jünger als die Herrschaft: es dürfte darum kaum sonderlich abweichen von Stande des Jahres 1545, weshalb es von höchstem Wert ist. Die Namen der einzelnen Haushaltungsvorstände, der “Angesessenen” gingen leider dem Bearbeiter verloren, so kostbar sie für einen Familienforschen wären. Hier die Dörfer geordnet nach der Größe


1545


Reisdorf

72

Angesessene

Weipert

42

Angesessene

Böhm. Wiesental

32

Angesessene

Dörnsdorf

24

Angesessene

Schmiedeberg

17

Angesessene

Laucha

11

Angesessene

Tomitschan

11

Angesessene

Ahrendorf

10

Angesessene

Radis

10

Angesessene


Nur 7 waren Innwohner, d.h, Leute ohne Haus oder Grundbesitz.

Für die Stadt Pressnitz war leider kein gleich altes Einwohnerverzeichnis irgendwo auffindig.




Sein Fest zu Hause war St. Martin, der 11. November. Da gab´s den “Bluthund” ein in der Pfanne gebackenes Gericht, in der besten Form aus Gänse, Schweine- und Kalbsblut, gut gewürzt.


Datumsmäßig und der Beschreibung zu folge handelt es sich bei diesem Fest um den 11. November, um die


Kirmes



In Sitten und Gebräuchen fand ich folgenden Beitrag:



Kahl stehen die Bäume, öde die Felder, der Herbst ist eingezogen und mischt sich bereits mit den Anfängen des Winters. Da naht das Hauptfest des Landmanns die Kirmeß.

Es setzt schon lange voraus, Herzen und Hände in Bewegung. All wollen am Feste geschmückt erscheinen. Die Kinder erbitten von den Eltern, dort ein neues Paar Hosen, hier eine Neue Jacke. Auch die jungen Leute machen bei dem Dorfschneider ihre Bestellungen, der kaum allen Aufträgen genügen kann und die Botenfrau muss den jungen Mädchen bunte, seidene Bänder und andere Schmucksachen häufiger als sonst aus der Stadt mitbringen.

Auch die Hausfrau hat ihre Pläne für das nahende Fest.

Lange vorher hat sie den Rahm gesammelt, um genug Butter zum Kuchenbacken zu haben und bereitet nun Käse, läßt Rosinen, Mandeln Zucker, Hefen usw. holen um das nichts fehle.

Die Kuchen sind bereit und wandern zum Bäcker, um nach einigen Stunden, fertig und noch rauchend, unter dem Jubel der Kinder ihren Einzug wieder in das Haus zu halten. Aber noch andere Opfer sind nötig.

Ein Schwein soll geschlachtet (Sauleed oder Krumbeh gehalten) werden. Der Fleischer ist bestellt, der Schlachtzettel besorgt, Gewürz, Wasser und Brennmaterial schon am Abend vorher herbeigeschafft. Der späte Herbsttag bricht an, schon knistert das Feuer und dem Wurstkessel, da klingelt die Thüre und herein tritt der Fleischer, Brust und Beide bedeckt die weiße frisch gemandelte Schürze. Der breite Ledergürtel unter derselben ist mir Perlen oder Silberplättchen verziert und an der Seite hängt ein Köher mit Messer, Gabel und Wetzstahl.

Er verrichtet sein Werk und bald ruht das todte Schwein in dem bereitgestellten Troge. Mit Hilfe des heißen Wassers und des Schabeisens sind die Borsten entfernt, das Schwein wird getheilt und Stücken Fleisch in den broddelnden Kessel geworfen. Endlich ertönt der Ruf: „Das Wurstfleisch ist fertig“ und Alles eilt herbei um an dem leckeren Genuß sich zu laben. Nun folgt das Bereiten und Kochen der Würste, das Einsalzen des aufzuhebenden Fleisches, ein tüchtiges Bratstück ist zur Kirmeß ausgesucht und der Abend schließt mit dem Verzehren der Wurstsuppe und frischer Wurst, als eine Art Vorfeier des immer näher rückenden Festes.


Nun wird auch das ganze Haus gerüstet, überall wäscht und kehrt, scheuert und putzt man.


Der Kirmeßsonntag ist da.

Beim Aufgang der Sonne weckt das Blasen eines Chorals vom Thurme durch die Dorfmusikanten die schlummernden Bewohner. Bald sind alle in der Wohnstube locken Teller mit Thürmen von Kuchenstücken. Man thut dem ersehnten Gebäck die möglichste Ehre und Teller und Kanne sind schnell geleert. Der heutige Gottesdienst wird nur spärlich besucht, denn erst am morgenden Tage, am Montag, ist der eigentlliche Kirchenweihtag. Ist er endlich angebrochen und rufen die Glocken zur Kirche, so eilen die festlich geschmückten Landleute in einzelnen Trupps von allen Seiten nach der lieben Ortskirche, deren Weihtag ja heute gefeiert wird. Heute darf die Kirchenmusik nicht fehlen. Wieder ertönt Glockenklang und heraus strömt die Menge.

Jeder seiner Wohnung zu. Welche Freude giebt es bei der Heimkunft. Der Vetter, aus der benachbarten Stadt, die Frau Gevatterin aus einem entfernten Dorfe und andere geladene Gäste sind eingetroffen.

Endlich ist der Tisch gedeckt. Auf dem Tischtuch von selbst erbautem Flachs prangen Schweine und Hühnerbraten, daneben die beliebten Kartoffelklöse und Sauerkraut, weißes Brod und Bier, vielleicht auch eine Flasche Wein. Alles setzt sich. Auch der zitternde Großvater im silberweißen Haar rückt seinen alterhthümlichen Lehnstuhl heran und von seinem wirthlichen Sohne gebeten, nimmt er das Sammtkäppchen von dem ehrwürdigem Haupte in die gefalteten Hände und spricht das Tischgebet. Jeder läßt sich die guten Gerichte wohlschmecken, deren Schluß mächtige Kuchenteller bilden.


Nach Tische machen die Männer einen Gang ins Freie, die Kinder haben ebenfalls draußen „ihre Luft“ wo auf Wegen und Stegen ein fröhliches Leben herrschrt. Nur die Frauen bleiben sitzen und erzählen sich bei Kuchen und Kaffee die neuesten Geschichten. Die rückkehrenden Männer gesellen sich auch zu ihnen und unter Gespräch und Genuß vergeht die erste Hälte des Nachmittags. Später geht man wohl in die Schenke, wo der Tanz der jüngeren Leut bereits um 3 Uhr begonnen hat. Dort setzt man sich zum Glase Bier und spielt einen Skat oder schaut der unermüdlichen Jugend zu. Um 7 Uhr geht man zum Abendessen nach Hause, das von der Hausmutter festlich zugerüchtet ist. Alt und Jung nimmt Platz, die Teller werden gefüllt und bald ist Alles in reger Arbeit. Ist die Rosinensuppe gegessen, folgt Schneifleisch mit Zwiebelbrühe, dann Karpen mit Krautsalat, zuletzt wieder Kichen. An Bier, Branntwein, selbst an Wein ist kein Mangel. Nach aufgehobener Tafel bleibt man noch eine Weile beisammen sitzen oder man wandert wieder zur Schenke, wo nun auch die Verheirateten am Tanz sich betheiligen, bald einen Walzen, bald einen Rutscher, einen Dreher usw. verlangend.


Spät wird die Kirmesluft beschlossen und mit Kuchenpaketen ziehen die Gäste dankend heim. Dienstag bildet noch eine Art Nachfeiern, bis endlich an der Mittwoch Haus und Arbeit wieder in das ruhigere Gleis einlenken. Am nächsten Sonntag verhallen in der Klein-Kirmeß die letzten Kläge und Freuden des Festes.

Nur die Erinnerung tröstet noch und die Hoffnung, das nächste Jahr wieder Kirmeß ist.